Bedroht NGN den Wettbewerb?
Auf der Suche nach einem einheitlichen Netz
Wie eingangs erwähnt, kennt das derzeit gültige Internet Protocol Version 4 kein allgemein gültiges Verfahren, um Sprachpaketen Vorrang vor anderen Datenpaketen einzuräumen (Priorisierung). Verfahren dazu gibt es zwar - sie werden unter "Quality of Servie" (QoS) zusammengefasst -, aber bisher können sie nur auf Seiten des Routers eingesetzt werden. Der Router leitet die Pakete ins Web weiter. Was dort damit geschieht, darauf hat er keinen Einfluss.
Aus diesem und anderen Gründen bauen große DSL-Anbieter ein so genanntes "Integrated Access Device" (IAD, Deutsch: Integrierte Zugangsgerät) in den Router ein, den sie dem Kunden liefern. Für den Kunden hat das einige Vorteile. So nutzen viele DSL-Anbieter das IAD für die Einrichtung des Routers aus der Ferne. Das IAD soll aber auch für eine einheitliche Priorisierung von Sprachpaketen sorgen. Wenn also zwei Kunden des gleichen Anbieters miteinander telefonieren, so soll das IAD für die bestmögliche Sprachqualität sorgen. So zumindest argumentieren die Anbieter.
Dieses mit einer einheitlichen Priorisierung von gestreamten Anwendungen (Internnet-TV, IPTV) vor Sprachpaketen und von Sprachpaketen vor Datenpaketen versehene Netz nennt man "Next Generation Network" (NGN), was soviel heißt, wie Netzwerk der nächsten Generation.
Bedroht NGN die Netzneutralität?
Ob dieses Netzwerk der nächsten Generation ein Fortschritt ist, darüber gehen die Meinungen auseinender. Die Anbieter erhoffen sich eine wirtschaftlichere Durchleitung der Datenpakete. Außerdem, so argumentieren sie, seien moderne Dienste wie gestreamtes Internetfernsehen (IPTV) ohne das NGN kaum möglich. Außerdem soll der Ausbau der Netze durch eine einheitliche Weiterleitung der Pakete günstiger werden. Das könnte den Ausbau des DSL-Netzes stark beschleunigen. Die Kritiker des NGN fürchten um die Netzneutralität. Bisher werden Datenpakete ohne Ansehen von Art und Herkunft im Internet mit der gleichen Priorität befördert.
Wenn nun aber große Netzanbieter Pakete priorisieren wollen, dann müssen sie diese zuvor analysieren. Damit verschaffen sie sich einen erheblichen Einfluss auf das Internet insgesamt. Außerdem fürchten Kritiker, dass die Netzanbieter an der Preisschraube für die Durchleitung von Daten drehen, wenn das NGN erst etabliert ist. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass man das NGN für andere Teilnehmer sperren kann.
Das steht mittelfristig jedoch nicht zu befürchten, denn das NGN muss auch mit anderen Zugangsdiensten kompatibel sein. Viele Menschen verwenden einen Festnetzanschluss oder greifen per Mobilfunknetz auf das Internet zu. Auch im Breitbandkabel geschieht die Vermittlung ganz anders als im Telefonnetz. Das NGN braucht also - zunächst -offene Schnittstellen. Hinzu kommt, dass die Anbieter sich zunüchst untereinander auf einen gemeinsamen Standard einigen müssten, um eine markt- beziehungsweise netzbeherrschende Stellung aufzubauen.
Den Verbraucher schränkt nicht in erster Linie diese Art der Datenübermittlung ein. Auch über einen WLAN-Router mit IAD lässt sich ein WLAN-VoIP-Handy mit einem Anschluss eines anderen VoIP-Anbieters nutzen. Die DSL-Anbieter schränken den Kunden in seiner Wahlmöglichkeit ein. So bietet Arcor beispielsweise DSL und Telefondienste nur im Paket an. Das betrifft vor allem die reinen VoIP-Anbieter - sipgate, sipkom, nikotel, Carpo und andere. Nur wenige DSL-Anbieter verkaufen ihre Pakete in Modulen, die man sich selbst zusammenstellen kann. Versatel geht hier mit gutem Beispiel voran.
Diese mangelnde Wahlfreiheit ist vor allem deshalb ärgerlich, weil die DSL-Anbieter in der Regel die Möglichkeiten von VoIP nicht ausreizen. So vermarktet derzeit nur freenet aktiv einen Telefonanschluss, der sich mobil mit einem WLAN-fähigen Handy nutzen lässt. Arcor hingegen hat den Verkauf des Twintel WLAN-Handys wieder eingestellt.
Wie sich die Technik entwickelt, wird von vielen Faktoren abhängen. So ist im neuen "Internet Protocol Version 6" (IPV6) bereits ein Verfahren zur Priorisierung von Paketen enthalten. So würde ein offener Standard fast alle Probleme der Übermittlung von Streaming-TV und Sprache über das Internet lösen und die IADs überflüssig machen.
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